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Kapitel 3.4

 

Kapitel 3.4: Folgerungen für die astrologische Forschung

 

Es ist also bei der Überprüfung astrologischer Zusammenhänge nicht sinnvoll, vorhandene Forschungsmethoden aus dem Bereich der Sozialwissenschaften ohne Diskussion zu übernehmen. Zum einen besteht die Gefahr, daß die Untersuchung an "praktischer Relevanz" verliert. Zum anderen bedarf die Frage einer Klärung, ob die zur Verfügung stehenden Methoden dem Forschungsgegenstand angemessen sind. Natürlich hängen beide Aspekte des Problems zusammen.

Der Vorwurf mangelnder praktischer Relevanz wurde u.a. gegen bestimmte Formen der Forschung in der Psychologie erhoben (HOLZKAMP 1972) und bezog sich dort auf die geringe Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Labor-Experimenten auf den "Lebensalltag". In dem hier angesprochenen Kontext ist mit praktischer Relevanz vor allem der intendierte psycho-hygienische Effekt astrologischer Forschung gemeint: Da im Falle der Astrologie sowohl auf der Seite der Anhänger wie auf der Seite der Gegner sehr viel (Aber-) Glaube im Spiel ist (siehe Kapitel 1), besteht ein wesentliches Ziel von Forschung zunächst in der Schaffung einer "Diskussionsgrundlage". Dazu muß die verwendete Forschungsmethode von beiden Seiten (zumindest mehrheitlich) als adäquat eingestuft werden, sollen die Ergebnisse der Forschung rezipiert und "umgesetzt" werden, d.h. zur Änderung von Einstellungen und Verhaltensweisen beitragen.

Was die Angemessenheit sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden, insbesondere statistischer Verfahren, für die Untersuchung astrologischer Fragestellungen angeht, so wird diese auf Seiten der Astrologen immer wieder grundsätzlich bestritten. Ähnlich geht es ja auch Forschern im Bereich der Psychologie bei der Auseinandersetzung mit "Praktikern" (z. B. bei der Diskussion um die Angemessenheit von Tests), speziell mit Psychotherapeuten *65. Aber nicht nur Astrologen, auch Wissenschaftler wie C. F. von WEIZSÄCKER, der die Grundannahmen, auf denen statistische Methoden basieren, als theoretischer Physiker versteht und reflektiert (WEIZSÄCKER 1971), äußern sich skeptisch über die Möglichkeit, astrologische Behauptungen mit statistischen Methoden zu überprüfen *66.

Bei Diskussionen über die Möglichkeit einer angemessenen Überprüfung der Astrologie scheinen sich zwei Gruppen gegenüberzustehen - und sie scheinen sich nicht zu verstehen:

Auf der einen Seite stehen Astrologen, die in der praktischen Arbeit mit der Astrologie die "Erfahrung" gemacht haben, daß das Horoskop "tiefe Einblicke in die Wesensstruktur eines Menschen erlaubt". Wenn man mit Statistik keine Zusammenhänge zwischen Horoskop und Persönlichkeit finde, so argumentieren sie, dann müsse die Statistik ein ungeeignetes Instrument für den Nachweis solcher Zusammenhänge sein. Und in dieser Auffassung werden sie von Forschern wie v. WEIZSÄCKER unterstützt. Die Basis ihrer Überzeugung bildet immer eine Fülle von "Evidenz-Erlebnissen".(Siehe dazu Kapitel 4.4: Trügerische Evidenz-Gefühle)

Auf der anderen Seite stehen Forscher, die (geradezu beschwörend) fordern, daß die Behauptungen doch irgendwie "testbar" sein müssen, da der Astrologe doch sonst keinerlei Möglichkeiten hat, sich vor Täuschung zu schützen. Die Basis des Zweifels bei diesen Forschern bildet die Überzeugung, daß "Evidenz" kein gutes Kriterium für "Wahrheit", in jedem Fall aber kein wissenschaftlich anerkanntes(und anzuerkennendes) Kriterium darstellt. (In bezug auf die Psychotherapie argumentiert z. B. REITER 1975, 28, in dieser Weise.)

Wie tief die Kluft zwischen diesen beiden Gruppen ist, dokumentiert ein seit 1981 (!) in Form von Leserbriefen ausgetragener Streit - der gegenwärtig immernoch anhält - in der Zeitschrift CORRELATION (Journal of Research into Astrology) (CURRY (81), SHALLIS (81), CURRY (82, 82a), ALEXANDER (83, 83a), DEAN (83), HARVEY (84, 84a), DEAN (84, 84a), ALEXANDER (84), SCHNEIDER (84), POWER (85), ALEXANDER (85), PARKER (85), DEAN (85)) sowie ein ähnlicher Streit im Anschluß an die Veröffentlichung einer "Statistischen Untersuchung..." mit negativem Resultat im Jahre 1984 in der Zeitschrift MERIDIAN (NIEHENKE (84, 84a), FIEDLER (84), SPORNER (84), BRENTANO (84), KRÖNCKE (84), LOCKOWANDT (84), PRONAY (84)).

Je nachdem, wie Astrologie von den betreffenden Astrologen grundsätzlich aufgefaßt wird, ist die Art der Einwände gegen die Forschungsmethoden verschieden: Abgesehen von den Astrologen, die kritisieren, daß der Forscher sich der falschen astrologischen Methode bedient habe *67, oder solchen Einwänden, die auf einer ungenügenden Kenntnis statistischer Verfahren beruhen *68, sind von den ernst zu nehmenden Einwänden vor allem diejenigen wichtig, die Zweifel an der Reliabilität und Validität der verwendeten Instrumente (z. B. Fragebogen) vorbringen (LOCKOWANDT 1984a). Solchen Einwänden liegt offensichtlich nicht eine grundsätzliche In-Frage-Stellung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden - insbesondere der Statistik - zugrunde; sie sind eher "system-immanent" und laufen auf eine Diskussion des Meßproblems hinaus, auf das in Kapitel 7 ausführlich eingegangen werden wird.

Einige Astrologen jedoch kritisieren "Forschung" grundsätzlich und bezweifeln die Angemessenheit der Forderung nach Quantifizierbarkeit, die z. B. ja Voraussetzung für jegliche Form von Statistik darstellt. An diesen Stellen zeigt sich das oben erwähnte "Unverständnis" zwischen den beiden Gruppen dann besonders deutlich und man spürt, daß zwei Sichtweisen zum Thema Wahrheit aufeinanderstoßen, die im Kern auf unterschiedlichen metaphysischen Grundannahmen beruhen *69.

So wie sich die Vertreter der einen Gruppe fragen lassen müssen, ob denn Quantifizierbarkeit im Falle der Astrologie eine angemessene Forderung darstellt, so müssen sich die Vertreter der anderen Gruppe fragen lassen, ob sie denn meinen, auf jede Art von Versicherung, bei der Astrologie nicht einer Täuschung erlegen zu sein, verzichten zu können. *70 Und wenn Quantifikation und Statistik ein unangemessener Weg sind, worin bestünde ein angemessener Weg der Prüfung (der Versicherung gegen Täuschung)?

Es ist mir keine Veröffentlichung bekannt, die auf diese letzte Frage eine Antwort gibt. Einen vagen Hinweis gibt ALEXANDER (s. Anm. 69) mit seiner Frage nach "a form of astrological research that embodies some of the approach of literary criticism and some of the approach of science?"

Nun gibt es außer der Astrologie auch noch andere Wissensgebiete, die mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und noch haben. Ich denke z. B. an die Psychoanalyse, die Jahrzehnte lang die einzige offiziell anerkannte Form der Psychotherapie war, in der eine ganze Generation von psychotherapeutisch arbeitenden Ärzten ausgebildet wurde, über deren Themen ein Heer von wissenschaftlich ausgebildeten und zum Teil offensichtlich auch sehr klugen Menschen Veröffentlichungen publiziert haben, die heute ganze Bibliotheken füllen, und bei der heute eine ganze Reihe akademischer Psychologen "persönlich fest davon überzeugt ist, daß die ganze Psychoanalyse im Kern auf einer Art von Aberglauben beruht" (HEMMINGER/BECKER 1985, 44 u. 109f).

Wie ist es möglich, daß weiterhin Psychoanalytiker von dieser Methode überzeugt sind? Wie war es möglich, daß Jahrzehnte lang Wissenschaftler von dieser Methode überzeugt waren? Waren (und sind) diese Wissenschaftler unkritisch? Leichtgläubig? Oder sind es die Wissenschaftler, die jetzt die Psychoanalyse ablehnen?

Unter der Überschrift "Das Problem der wissenschaftlichen Wahrheit" schreibt dazu Erich FROMM:

"Es ist Mode geworden zu behaupten, Freuds Theorie sei 'unwissenschaftlich', und Vertreter der verschiedenen Zweige der akademischen Psychologie neigen besonders zu dieser Ansicht. ... Viele Psychologen und Soziologen haben von wissenschaftlicher Methode eine etwas naive Vorstellung. ... Was kreative Wissenschaftler heute von den Pseudo-Wissenschaftlern in den Sozialwissenschaften unterscheidet, ist ihr Glaube an die Macht der Vernunft, ihre Überzeugung, daß die menschliche Vernunft und das menschliche Vorstellungsvermögen die trügerische Oberfläche der Erscheinungen durchdringen und zu Hypothesen gelangen kann, die sich mit den Kräften befassen, welche unter der Oberfläche liegen." *71

Das Wissenschaftsverständnis der Gruppe der "naiven Wissenschaftler" im Sinne FROMMs kann man so umreißen: Sie suchen Sicherheit in der Anwendung bestimmter methodischer Regeln. Das Befolgen dieser Regeln ist ihnen "Bollwerk" gegen die vielfältigen offensichtlich vorhandenen Formen der Täuschung unserer Sinne, unserer Wahrnehmung allgemein, und gegen Fehlschlüsse. Vor allem mißtrauen sie dem sog. "gesunden Menschenverstand", vielleicht auch FROMMs "Kraft der Vernunft".

Es besteht wohl kein Zweifel, daß ihre Bedenken berechtigt sind. Man denke an die interessanten Experimente zu optischen Täuschungen, an die unzähligen Irrtümer des "gesunden Menschenverstandes", die man in einfachen psychologischen Experimenten aufdecken kann (Stichwort: Vorurteils-Forschung, z. B. SYNDER 1983), aber auch an subtile Irrtümer wie den der Reifikation: Irrtümer des "gesunden Wissenschaftler-Verstandes", mit denen Wissenschaftler - auf neuer Stufe - überwunden geglaubte Irrtümer des "gesunden Menschenverstandes" wiederholen *72.

Die Frage ist nur, ob methodisches Vorgehen die Sicherheit gewährleistet, die sie suchen. Wie wir gesehen haben, sind die elementarsten Grundlagen unserer wissenschaftlichen Methode(n), z. B.die Ableitungsregeln, nicht "gewiß" (s. Anm. 41). FEYERABEND hat zudem in hervorragender Weise zeigen können, daß die Pioniere unserer heutigen Wissenschaft (z. B. GALILEI) nur aufgrund der Verletzung wissenschaftlicher Methoden zu Ihren Ergebnissen, die unser Verständnis von der Welt revolutionierten, kommen konnten. Der Titel seines Buches deutet an, welche Konsequenz er daraus zieht: "Wider den Methodenzwang"! (FEYERABEND 1979). In einem gewissen Sinn scheint er, wie FROMM, der "Kraft der Vernunft" mehr zu vertrauen als viele Wissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker.

Entscheidend ist nicht M e t h o d i k , von jedermann schematisch anwendbar, deren Korrektheit, ebenso schematisch, ohne Reflexion auf die Inhalte überprüfbar ist, sondern eine bestimmte H a l t u n g , ein "disziplinierter Geist" des Forschers; entscheidend sind vielleicht gewisse "Tugenden" des Wissenschaftlers, nicht so sehr die Befolgung von Richtlinien. So kann man m. E. das Wissenschaftsverständnis der Gruppe der "kreativen Wissenschaftler" im Sinne FROMMs umschreiben.

Wir dürfen nicht vergessen, daß die Adäquatheit der Methoden ja nicht wiederum unter Anwendung dieser Methoden überprüft werden kann. Wir sind also bei der Prüfung unserer Methoden ohnehin auf die oben angesprochenen Tugenden, auf die "Kraft unserer Vernunft", auf eine Diskussion von "Laien", von "Idioten" (s. Anm. 55) angewiesen.

Den "Archimedischen Punkt" gibt es also auch in der Wissenschaftstheorie nicht. Das Bewußtsein dieser "Begrenzung" hat heute auch bei konservativen Wissenschaftstheoretikern der neuen Generation zur Aufgabe der Forderung nach Einhaltung vorgegebener gleicher methodischer Regeln für jedwede Art wissenschaftlicher Tätigkeit geführt (LAKATOS 1974) *73. Die Aufgabe, eine angemessene Forschungsstrategie zu entwickeln, wird dadurch, wie FEYERABEND es ausgedrückt hat, natürlich nicht leichter, sondern schwieriger (FEYERABEND 1981a).

Ich möchte zum Schluß dieses Kapitels noch einmal zusammenfassen:

Der Hochmut vieler "positivistisch" eingestellter Wissenschaftler, die weismachen wollen, daß es doch ganz klar sei, wie man in der Wissenschaft vorzugehen habe, und die Astrologie ohne ein Gefühl für die Relativität des eigenen Standpunktes doktrinär als Aberglauben abtun (siehe Kapitel 1), ist für die Erforschung eines möglichen Wahrheitsgehaltes des astrologischen Gedankenguts ein ernsthaftes Hindernis. Es scheint mir notwendig, solche Wissenschaftler in ihre Schranken zu verweisen. Dies ist einer der Gründe, warum ich in diesem Kapitel die erkenntnistheoretischen Grundlagen unseres heutigen Wissenschaftsverständnisses ausführlicher dargestellt und diskutiert habe.

Die Forderung des Operationalismus, "Begriffe so zu formulieren, daß jederzeit darüber entschieden werden kann, ob der Begriff zutrifft oder nicht" (KLÜVER 1974, 104), hat für die psychologische Forschung eine ähnliche Bedeutung gehabt wie GALILEIs Abrücken von der Frage: "Was ist ein freier Fall" zugunsten der Frage: "Wie funktioniert der freie Fall (welcher Bewegungsgleichung gehorcht er)?" In beiden Fällen wurden fruchtbare Möglichkeiten für die Erforschung von Zusammenhängen in der Natur eröffnet.

Es steht auch jedem Wissenschaftler frei, sich in der Weise freiwillig zu beschränken, daß er Begriffe, die nicht operationalisierbar sind, in seiner Arbeit als Wissenschaftler nicht zuläßt. Er muß dann aber in Kauf nehmen, daß er möglicherweise wichtige Bereiche der menschlichen Erfahrung von seinen wissenschaftlichen Untersuchungen ausklammern muß, denn die Aussage: "Wenn etwas wirklich existiert, ist es auch meßbar" bzw. umgekehrt: "Wenn etwas nicht meßbar ist, so existiert es auch nicht", ist nicht begründbar, sie ist ein Glaubenssatz.

Selbst der Anspruch, nur solche Erkenntnisse, die in "methodisch sauberer Weise" gewonnen wurden, die also "wissenschaftliche Erkenntnisse" sind, seien wirklich Wissen, die anderen Erkenntnisse dagegen Glauben oder subjektive Überzeugungen ohne Wahrheitswert, ist nicht so zwingend zu begründen, daß ihn alle "mit Vernunft und Verstand begabten Menschen" für evident halten würden. Im Gegenteil: "Die Wissenschaft ist eine der vielen Formen des Denkens und nicht unbedingt die beste." (FEYERABEND 1979, 388)

Wir waren ausgegangen von der Frage, welche grundsätzlichen Möglichkeiten wir haben, uns vor Täuschung zu schützen, und wir haben gesehen, daß es einen Weg, der uns vor Täuschungen mit Sicherheit bewahren kann, nicht gibt. Es müssen in jedem Einzelfall also die Argumente für und wider immer neu gegeneinander abgewogen werden. Dies wird, wie einleitend schon bemerkt, in solchen Fällen leicht sein, in denen Täuschungen Folgen haben, die relativ eindeutig interpretiert werden können. In allen anderen Fällen ist eine methodisch abgesichterte eindeutige Entscheidung nicht möglich.

In solchen Fällen muß sich jeder aufgrund der vorgelegten Argumente selbst ein Urteil bilden und sich entscheiden, was ihn überzeugt und was nicht.

 

 

 

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